Aufreger

Gerade lese ich beim Herrn Teddy, dass er gar nicht erfreut über eine gewisse Nebenwirkung seiner Antihypertonika ist.

Er kann sich nicht mehr aufregen.

Vielleicht kann ich dem Mann helfen. Ich bitte ihn, sich vorzustellen, er wäre vor mehreren Monaten mit seiner Westiedame in unsere Praxis gekommen, weil sie schneckenfett war,
(ich weiß, sie ist gertenschlank, gib dir ein wenig Mühe, es dir vorzustellen!)
und verfressen bis zum sprichwörtlichen Gehtnichtmehr. Ihr Fell ist strubbelig, sie schmeißt permanent Haare ab und kratzt sich exzessiv. Sie kommt kaum zur Ruhe, ist unkonzentriert und hat alles gute Benehmen abgelegt.

Auf Spaziergängen kann er sie nicht mehr von der Leine lassen, sie ist wie versessen darauf, Kothaufen von Artgenossen aufzuspüren und zu verzehren. Sie ist aber in dieser Hinsicht nicht wählerisch, Katzen-, Marder-, Fuchs- und Menschenkot wird ebenfalls nicht verschmäht.

Im Hause leckt sie gerne die Tapeten so lange nass, bis sie sich von der Wand lösen, um sie dann zu verspeisen.

Wir erklären Herrn Teddy, dass alle oben beschriebenen Probleme auf das müllige Trockenfutter zurück zu führen sind, dass er ihr seit geraumer Zeit gibt.
(du musst schon mitmachen, ich weiß, sie wird hundgerecht gefüttert, aber schliesslich wollen wir doch, dass du dich am Ende des Artikels mal wieder so richtig aufregen kannst.).

Das Futter beinhaltet so gut wie keine natürlichen und damit vollständig verwertbaren Vitamine, Mineralstoffe und Spurenelemente. Das führt zu Mangelerscheinungen. Was der Organismus nicht über Qualität bekommt, versucht er sich über Quantität zu holen. So viel fressen, wie reingeht!

Die große Menge an synthetischen Zusatzstoffen belastet Leber und Nieren. Die Darmflora ist aus der Balance geraten. Sie versucht, sich Mikroorganismen aus dem Kot anderer Tiere zu holen.

Da es sich um ein extrudiertes Futter handelt, quillt es im Magen um ein Vielfaches, der Magen weitet sich unnatürlich, das Futter verlässt ihn innerhalb kürzester Zeit, der Magen signalisiert: Hunger!

Hunger ist für Tiere ein existenzielles Problem, Hunger beunruhigt, nimmt jegliche Gelassenheit und das Konzentrationsvermögen reicht nur noch für dieses eine Ziel.

Zudem sind die Inhaltsstoffe des Futters prädestiniert, einen Hund in Kugelform zu bringen. Stärke und Zucker im Übermaß!

Herr Teddys Westie bekommt ab jetzt ein natürliches Futter, wir stellen eine stabile Darmflora her, das Immunsystem erlangt seine alte Leistungsfähigkeit zurück, das Fell wird schön, der Heisshunger verschwindet, der Hund wird zum angenehmen Begleiter. Herr Teddy wird sich das gut vorstellen können, es ist, wie in seinem richtigen Leben.

Aber: plötzlich wird Herr Teddy krank, muss eine mehrwöchige Therapie besuchen, deren Dauer nicht absehbar ist
(das wünsche ich dir natürlich nicht, für den Erfolg dieser Sitzung ist es allerdings wichtig, dass du dich in diese Situation hinein versetzt)
und er hat niemanden, der sich um seine Westieline kümmert.

Wir bieten an, sie in unsere Hausgemeinschaft aufzunehmen, Teddy entscheidet sich aus nachvollziehbaren Gründen für eine Hundepension in der Nähe des Wohnorts seiner Schwester.

Die Pension bekommt einen genauen Ernährungsplan, das Futter und die von uns verordneten Präparate werden mitgegeben, außerdem für Rückfragen unsere Kontaktdaten, Herr Teddy begibt sich zur Kur, seine Hündin in Pension.

(Herr Teddy, konzentriere jetzt bitte all deine Vorstellungskraft auf Folgendes, dann kannst du dich bestimmt wieder aufregen:

Nach fünf Wochen meldet sich deine Schwester bei dir, sie hatte deine Hündin in der Pension besucht und sie beinahe nicht wiedererkannt, kugelfett wie sie war. Die Pensionstierärztin hatte dringend davon abgeraten, das von uns empfohlene Futter und die Präparate zu geben, das wäre aus veterinärmedizinischer Sicht nicht zu verantworten. Stattdessen verwies sie auf ein Spezialfutter aus ihrer Praxis, weil die Hundedame viel zu mager sei. Deine Schwester hat den Hund sogleich mit zu sich nach Hause genommen. Du hast deine Kur abgebrochen, weil deine Schwester ganztägig arbeitet und sich nicht um Westie kümmern kann und alle stehen wir da, wo wir schon vor einem halben Jahr waren.) 😦

Diese Geschichte habe ich nicht für Herrn Teddy erfunden. Sie hat sich genau so zugetragen. Nur Hund und Mensch hatten eine andere Identität.

Ich hoffe, auch für Herrn Teddy hat´s gereicht. Wenn nicht, empfehle ich, den Beipackzettel noch einmal genau zu lesen.
Stichwort: vermindertes Vorstellungsvermögen. 😉

Mein Blutdruck ist gut eingestellt und ich konnte mich maßlos aufregen!

7 Antworten to “Aufreger”


  1. 1 Herr Teddy 7. Mai 2010 um 08:22

    Danke für die „schöne“ Geschichte! Sie hatte sogar zwei Wirkungen auf mich.

    1. Ich amüsierte mich köstlich über deinen Schreibstil, und

    2. regte mich diese Ignoranz der Pensionstierärztin mächtig auf.

    Ich muss dazusagen, dass ich mit meinem Westie schon einige ähnliche Geschichten durch habe, angefangen mit vorgeschlagener Kortisonbehandlng wegen Hautprobleme bis Futterumstellung (natürlich auf teures Spezialfutter, welches ich nur beim Tierarzt kaufen könnte). Alles natürlich ohne Alternative und unbedingt sofort und lebenslang umzusetzen.

    Jedesmal ignorierte ich (natürlich aber mit schlechten Gewissen) diese Empfehlungen/Vorschläge/Mahnungen und wechselte den Tierarzt. Meinem Westie geht es sehr gut und mittlerweile ist er 13 Jahre alt, nicht fett, hat keine Hautprobleme mehr.

    Mich regen diese Tierärzte, die das vermeintliche Wohl des Tieres im Blick haben, dabei aber nur in mein Portmonne (wie wird das jetzt geschrieben?) schielen, sehr auf und schalte da auch auf stur. Ich möchte mir von solchen Leuten nicht mehr sagen lassen was ich doch für ein rücksichtsloser Hundebesitzer wäre. Und mittlerweile begegnen mir auch am eigenen Leib solche Ärzte, welche dann an mir herumdoktorn wollen. Aaargh!

    • 2 ulli 7. Mai 2010 um 09:02

      Portemonnaie oder Portmonee 😉

      Noch ein kleiner Tip von mir:
      Man muss nicht alles tun, was die Weißkittelträger verlangen, sondern sollte es eher als Vorschlag sehen.

      Guck doch mal, ob es bei dir in der Nähe einen Heilpraktiker gibt, zu dem du Vertrauen fassen kannst. Er kennt sicher auch Methoden, deinen Blutdruck zu senken. Keiner kann dir verbieten, zweigleisig zu fahren.

      Bei Ärzten, wie bei Heilpraktikern, für Menschen, wie für Tiere gibt es begnadete Fachleute, Erfahrung, Wissen, Einfühlungsvermögen, Geldschneider, Unvermögen, Scharlatane.

  2. 3 charlotte sometimes 7. Mai 2010 um 11:07

    ich freu mich jedes mal wenn ich sowas lese wieviel glueck ich mit meinem tierarzt habe. laut aussage ist sid auf ideal gewicht (4 kilo fuer einen winzig kleinen kater), und bestens in form. hat mir erzaehlt dass er sowas viel zu selten sieht weil heut zutage die tiere meisstens ueberfuettert wuerden und zuwenig auslauf kriegen. zaehne sehen gut aus, fell in ordnung, ich war stolz wie sonst was.

  3. 4 Torsten (taxi-blog.de) 8. Mai 2010 um 23:46

    Moin Ulli!

    Blöderweise komme ich zur Zeit nur noch dazu, meine Lieblingsblogs auf dem Handy zu verfolgen. Und da ist das Internet soooo lahm, daß ich eher selten die Möglichkeit zu kommentieren wahrnehme. Und wenn ich dann einen Eintrag wie diesen lese, tut mir das echt leid.

    Deshalb jetzt ein Generallob: Danke für Deine Einträge. Speziallob für den Mehrteiler mit der „Urne“, ganz große Literatur. Dein Blog ist inzwischen einfach toll geworden!

    Wie schade es ist, daß es da draußen immer noch Tierärzte gibt, die das Wohl der Patienten nicht hoch genug einschätzen, wissen wir beide sicher genau. Übel.

    • 5 ulli 10. Mai 2010 um 09:01

      Moin Torsten,

      danke für dein Lob, ich tue, was ich kann.

      Schade, dass sehr schnell Tierarztschelte dabei rauskommt. Daran liegt mir überhaupt nichts.

      Vielmehr wünsche ich mir eine Zusammenarbeit, eine Synergie aus den jeweiligen Fähigkeiten beider Berufe.

      Zum Wohl der Tiere!

  4. 6 bordeauxdogge 10. Mai 2010 um 10:11

    Ich fand es sehr amüsant! 🙂


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